Nicht lange ist es her, da reichte ein Knopfdruck aus, um sich nach einem harten Arbeitstag berieseln zu lassen.
Vielleicht zappte man noch durch die wenigen Sender, die es gab, aber viel mehr kognitive Anstrengung musste man kaum noch auf sich nehmen.
Was früher die Blockbuster auf Prosieben waren, über die man im Freundeskreis sprach, sind heute Netflix-Serien.
Der Streaming-Dienst hat in einem Jahrzehnt ein rasantes Wachstum hingelegt und bringt klassische Fernsehsender in Bedrängnis.
Der Artikel verrät, welche Marketingstrategien zu diesem Wachstum beigetragen haben.
Heute ist die Planung der Abendgestaltung nicht mehr so einfach, denn die Auswahl ist schlicht zu groß.
Das Internet hat die Weltordnung durcheinandergebracht und damit auch die Fernsehgewohnheiten der Menschen.
Durch die ständige Verfügbarkeit verabschieden sich Menschen immer mehr vom linearen Leben und auch vom linearen Fernsehen.
„On-Demand Fernsehen“, also fernsehen auf Abruf gilt als Trend. Maßgeblich beflügelt wurde dieser Trend durch Netflix, Vorreiter und Marktführer auf seinem Gebiet.
Mit dem Fokus auf Filme und Serien hat sich das Unternehmen zu einem Platzhirsch avanciert, der von den Alteingesessenen, wie RTL und Co. gefürchtet wird.
Und dass, obwohl Deutschland aufgrund seiner großen und kostenlosen Sendervielfalt immer als schwieriger Markt für Bezahlfernsehen galt.
Streaming-Dienste treffen den Geist der Zeit, allen voran Netflix. Nie war die Individualität von Menschen ausgeprägt wie heute. Umso wichtiger ist ein maßgeschneidertes Unterhaltungsprogramm, um den Kundenbedürfnissen zu entsprechen.
Filme und Serien bringen den Menschen Unterhaltung und Entspannung. Diesen Nutzen stiften auch andere Anbieter wie Prime-Video, Sky oder Disney+. Was Netflix durch seine Größe zusätzlich schafft ist das Gefühl von Verbundenheit.
Das Gefühl zu wissen, dass Menschen weltweit dieselbe Serie sehen, oder sich darüber austauschen. Denn obwohl Menschen nie individueller waren als heute, so bleiben sie doch gesellige Wesen.
Markenmanagement: Kino-Feeling für Zuhause
Zuschauer von Netflix fühlen sich nicht nur über Serien, sondern über die Marke Netflix an sich mit der Welt verbunden. Trifft man jemanden im Ausland der die Lieblingsserie nicht gesehen hat, so kann Netflix ganz allgemein als Gesprächsöffner dienen.
Das ist einerseits ein Ergebnis der Größe, aber auch des Markenmanagements von Netflix. Der Markenkern von Netflix steht für Unterhaltung, Entspannung und Verbundenheit. Wie ließen sich diese Attribute besser vermitteln, als sich an das farbliche Auftreten von Kinosälen anzulehnen?
Mit den visuellen Markenelementen von Netflix, der Farben Rot und Schwarz sollen diese Assoziationen hergestellt werden. Traditionell ist der Vorhang und/oder die Sitze in einem Kinosaal rot gefärbt. Aushängeschild der Farbe Rot ist der Netflix-Schriftzug.
Dieser kommt auf schwarzem Hintergrund daher, um dadurch die abgedunkelte und gemütliche Atmosphäre eines Kinos zu inszenieren. Zusammen mit der großen Auswahl von exklusiven Serien vermittelt das Unternehmen seinen Kunden auf diese Weise sein zentrales Nutzenversprechen: Exklusive Serien und Kino-Feeling für zuhause.
Markenmanagement, im deutschen auch Markenführung genannt erfordert ein stimmiges Auftreten. Und besonders im hart umkämpften Markt, auf dem sich die Streaming-Anbieter bewegen spiele hohe Werbebudgets eine große Rolle.
Ein gutes Produkt, in diesem Fall gute Serien sind die Voraussetzung. Und obwohl ab einem gewissen Punkt der Absatz durch Mundpropaganda zum Selbstläufer einer Serie wird, so muss diese Mundpropaganda erst durch hohe Kommunikationsaufwendungen angeschoben werden.
Ist eine Marke erstmal bekannt, und genießt zudem ein gutes Image ergeben sich daraus zahlreiche Vorteile. So wird Netflix als Maß herangezogen, wenn ein Vergleich zu anderen Streaming-Diensten vorgenommen wird. Außerdem ist die Zahlungsbereitschaft für Markenprodukte höher.
Netflix‘ hat sich durch den Aufbau seiner Marke, auch eine bessere Marktposition gesichert, die dem Unternehmen zunehmende Macht verleiht. Fernsehhersteller können nicht mehr darauf verzichten den „Netflix-Knopf“ auf ihren Fernbedienungen zu verbauen.

Den Knopf verbauen sie nicht aus wohlwollen, sondern auf Druck der Kunden, die diesen Knopf mit in ihre Kaufentscheidung für einen Fernseher einbeziehen. Eine klassische Pull-Strategie als Teil des Markenmanagements, mit der Netflix es geschafft hat über die Kunden Druck auf LG, Samsung und Co. aufzubauen.
Netflix verfolgt ein konsequentes Markenmanagement und konnte daraus bereits Früchte ernten. Selbst der Begriff „Netflixen“ hat es in den Duden geschafft. Es bedeutet nichts anderes, als sich Videos über Netflix anzusehen. Ein Begriff der kürzer und cooler ist, und von den Zuschauern gerne genutzt wird.
Kundenbeziehungsmanagement: Emotionale Abhängigkeit
Kunden, die einmal gewonnen wurden, sollen sich an Netflix binden und nicht so schnell zu Konkurrenten abwandern. Dabei lässt sich die Bindung von Kunden auf verschiedenen Ebenen festigen.
Vertragliche, ökonomische, technische und psychologische Barrieren sollen geschaffen werden, damit Kunden einem Unternehmen treu bleiben.
Vertraglich bindet Netflix seine Kunden durch sein Abo-Modell. Seinen Kunden räumt das Unternehmen die Möglichkeit ein monatlich zu kündigen. Erfahrungsgemäß tun das viele Kunden jedoch ungern, da sie den Aufwand scheuen.
Nicht nur die Kündigung des Netflix-Abos, sondern auch die Suche nach einem neuen Streaming-Anbieter, erscheint manchen nicht so bequem, wie das Abo einfach weiter laufen zu lassen.
Die Kundenbindung stärkt es auch durch technische Aspekte, durch die Verfügbarkeit und Kompatibilität seiner Plattform auf Handys, Tablet und Fernsehgeräten. Denn Kunden von Netflix können sich sicher sein, dass selbst No-Name Fernseher und Smartphones mit der Netflix-App ausgestattet sind.

Am wichtigsten dürften jedoch die psychologisch-emotionalen Wechselbarrieren sein. In diesem Zusammenhang ist die Zufriedenheit zu erwähnen, die Netflix bei seinen Zuschauern erreicht.
Aber auch die Bindung zu Charakteren aus Serien die es nur bei Netflix gibt, spielt eine besondere Rolle. Diese Beziehungen macht sich das Unternehmen zunutze, indem es neue Staffeln der Lieblingsserie in Aussicht stellt.
Um Kunden an einer Kündigung zu hindern, und an „der Stange zu halten“, werden selbst Staffeln teilweise „gestreckt“, also nur in Teilen veröffentlicht. Ein Beispiel dafür ist die Serie „Haus des Geldes“. Die ersten Folgen der Staffel 5 wurden im September und die letzten Folgen im Dezember in das Angebot aufgenommen.
Mit Wechselbarrieren verschiedener Art, schafft es Netflix länger im Gespräch zu bleiben und schafft gute Gründe für den Verbleib als Mitglied. Die Bindung und Beziehung zu den Nutzern steigt.
Präferenzstrategie: Teure Eigenproduktionen
Unter den Wettbewerbern ist Netflix nicht der günstigste Anbieter. Das möchte Netflix aber auch nicht, denn Markenmanagement, Kundenbeziehungsmanagement, Qualität und Innovation vertragen sich nicht gut mit einer Niedrigpreisstrategie.
Stattdessen bedarf es finanzieller Ressourcen, um die gewählte Marketingstrategie langfristig verfolgen zu können. Und diese Mittel müssen erst erwirtschaftet werden.
Das Gegenteil der Niedrigpreisstrategie ist eine Präferenzstrategie. Der Kunde soll das Angebot präferieren bzw. bevorzugen, da ihm qualitative Elemente wichtiger sind, als den günstigsten Preis auf dem Markt zu erhalten.
Diese Strategiealternative richtet sich daher nicht an preisbewusste Käufer, sondern eher an die Käufergruppe, die den Groschen nicht zweimal umdreht.
In seiner Präferenzstrategie setzt Netflix vor allen Dingen auf Qualität. Wer bei Netflix schaut, hat in aller Regel einen nachhaltigeren Serien- und Filmgenuss als woanders. Das liegt zum einen an den hohen Budgets für die Netflix-Produktionen.
Mit dem Film „The Gray Man“, der im 2022 erscheint bricht Netflix seine bisherigen Rekorde. Der ca. zweistündige Streifen, mit Ryan Gosling in der Hauptrolle, ist mit 200 Millionen US-Dollar an Kosten die teuerste Eigenproduktion.

Zum anderen unterstreichen Bildqualität, Surround-Sound für das Heimkino und die Verfügbarkeit der Netflix-App auf unterschiedlichen Endgeräten die Position als qualitativ hochwertiger Anbieter.
Um die Zahlungsbereitschaft der Kunden beizubehalten, spielt zudem die Innovationsorientierung im Rahmen der Präferenzstrategie eine wichtige Rolle. Beispiele aus der Vergangenheit verdeutlichen das Netflix mit neuen Funktionen immer ganz vorne mitspielen möchte.
Durch Betätigung des „Netflix and Chill“-Knopfs konnten Zuschauer ab 2015 automatisch das Licht dimmen, die Handybenachrichtigungen leise stellen, und den Stream starten lassen.
Ein neueres Beispiel für die Innovationskultur ist ein eigener Fernseh-Sender der Inhalte von Netflix rund um die Uhr sendet. Der Sender ist bisher nur in Frankreich verfügbar, soll aber auch in weiteren Ländern angeboten werden.
Damit richtet sich Netflix an entscheidungsmüde Abonnenten, die einfach ganz klassisch ein Programm vorgesetzt bekommen möchten, ohne sich lange auf die Suche nach einer passenden Serie zu begeben.
Menschen die Kunden bei Netflix werden erwarten gute Serien und die neusten Features auf dem Streaming-Markt. Qualität und Innovation sind ihnen die Mehrkosten im Vergleich zur Konkurrenz wert.
Marktentwicklungsstrategie: Merchandise
Unternehmen sollten sich mit Blick auf ihre Kompetenzen und Zielgruppe nach weiteren Märkten umsehen, die sie erschließen können. Dabei müssen dies nicht immer risikoreiche Märkte sein, wie es im Rahmen einer groß angelegten Diversifikation der Fall wäre.
Einfacher ist es sich nach Zusatzmärkten umzuschauen, die den gegenwärtigen Markt, auf dem sich ein Unternehmen bewegt ergänzen. Da Netflix für gute Serien und eine starke Marke steht, fällt der Blick auf den Markt für Merchandise. Diesen Markt hat Netflix seit kurzer Zeit ins Visier genommen.
Während Streaming und Bekleidung im ersten Moment zwar wie zwei komplett unterschiedliche Märkte, mit unterschiedlichen Käufergruppen aussehen mögen, so ist es im speziellen Fall von Merchandise anders. Denn Fans die eine große Bindung zu Filmen, Serien oder deren Charakteren aufbauen, sind auch jene die sich gerne mit Fanartikeln schmücken.
Auf der Internetseite www.netflix.shop bietet Netflix daher unter anderem T-Shirts und Pullover an, die mit Logos und Schriftzügen seiner Produktionen bedruckt sind.

Im Gegensatz zu den typischen Käufergruppen, die in Bekleidung den Nutzen von Wärme, Schutz und Mode sehen, werden durch die Merchandise-Artikel Käufer angesprochen, die sich als Fan und Teil einer Community zu erkennen geben möchten.
Mit dieser Marktentwicklungsstrategie verkauft Netflix nun mehr nicht nur Serien, sondern begibt sich auf ein Geschäft, das seiner Wertschöpfungskette nachgelagert ist.
Und da Netflix ein großes Angebot an Eigenproduktionen hat, genießt es mit seinen Merchandise-Artikeln für bestimmte Serien eine gewisse Monopolstellung.
Marketingstrategie zusammengefasst
- Markenmanagement: Kino-Feeling für Zuhause
- Kundenbeziehungsmanagement: Emotionale Abhängigkeit
- Präferenzstrategie: Qualität und Innovation
- Marktentwicklungsstrategie: Merchandise